A World Citizen’s Journal

MODESTE MODE oder die Dialektik der weiblichen Verhüllung – 1

Das Kopftuch- eine unendliche Geschichte

Im April/Mai 2019 hatte wieder einmal die Kopftuchdebatte in Deutschland Hochkonjunktur. Immer wieder taucht es in der öffentlichen Debatte auf und schlägt eine Schlucht – zwischen Verteidiger*innen der Frauenrechte bzw. Feminist*innen und auf der einen Seite und Antirassist*innen auf der anderen Seite: das Kopftuch der Muslima.  Die Muslima selbst wird dabei nicht gefragt und kommt kaum zu Wort.

Obwohl es ähnlich strenge Kleidungsvorgaben für die Frau im orthodoxen Judentum gibt, ist es die islamische weibliche Verhüllung, die die Gemüter erhitzt und heftige Debatten auslöst. Die Habits der christlichen Ordensschwestern – im Volksmund Nonnen genannt- sind nicht minder  hochgeschlossen und „keusch“, aber das ist nie ein Thema, woran sich die Öffentlichkeit aufreibt. Denn Nonnen und orthodoxe Jüdinnen sind im Gegensatz zu orthodox gläubigen Musliminnen in der Öffentlichkeit kaum sichtbar.  Über den religiösen Status von Nonnen bzw. Frauen in der katholischen Kirche oder im orthodoxen Judentum, der ja zugleich immer auch ein gesellschaftlicher Status ist, gibt es mindestens genauso viel diskursiven Sprengstoff wie über den der muslimischen Frau. In der katholischen Kirche liegt so einiges im Argen; durch die jüngst sich formierende Bewegung Maria 2.0 wird Druck seitens der gläubigen Frauen in Richtung Gleichberechtigung ausgeübt. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Aktion entwickelt. Ich drücke die Daumen und wünsche viel Kondition. Aber jetzt bin ich leicht von Thema abgekommen. Es geht hier ja um Verhüllung der Muslima , nicht die der Nonnen, nicht wahr….

Das Kopftuch nimmt auch deswegen einen prominenten Platz in den Medien ein, weil es auf der politischen Arenen v.a. in Europa immer den passenden Konfliktstoff für die Zuschauertribünen liefert und für prickelnde Ablenkung und Zerstreuung sorgt. Vor einigen Tagen hat z.B. Österreich ein Gesetz gegen das Kopftuchtragen in der Grundschule beschlossen. Die Psychologie der Mädchen war bei diesem Eifer keine relevante Größe, Hauptsache man zeigt, dass man etwas gegen die „Unterdrückung der Frau im Islam“ unternimmt. Dass das Mädchen noch gar keine Frau ist, findet weder bei den Familien (zum Glück sind es nicht sehr viele) der betreffenden Mädchen noch bei den rechten „Beschützern des Abendlandes gegen die islamische Invasion“ eine Berücksichtigung. Das ist rassistisch.

Ein weiterer sehr interessanter Fall: Im ZDF-Magazin Frontal 21 vom 14.04.2019 berichtete Nemi Al-Hassan, eine muslimische deutsche Staatsbürgerin und Medizinstudentin mit Kopftuch, über gefährlich verhunzte Schönheitsoperationen, die Patientinnen – oder hier besser: Kundinnen -entstellt haben, manche sogar so, dass sie ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen konnten. Wir sehen Kosmetikerinnen, die sich als Heilpraktikerinnen ausgeben, Influencerinnen, die als „Werbefläche“ für sog. Beauty-Kliniken in Social Media für Botox-Spritzen, Hyaluronfiller etc. etc. werben. Wir sehen aber auch verpfuschte Eingriffe an Nase, Lippen, Brüsten mit katastrophalen psychischen und sozialen Folgen. Das Geschäft mit der Perfektionierung der körperlichen Ästhetik floriert auf Kosten der natürlichen Schönheit und oft auch der Gesundheit. Nach dem sehr gut recherchierten und präsentierten Bericht war die Aufregung und Empörung natürlich groß – nicht über den ungeheuren Inhalt des Berichts, sondern darüber, dass die Reporterin ein Kopftuch  getragen hat! Es ist ein Phänomen unserer Zeit und Kultur, dass eine kopftuchtragende Journalistin das Gemüt von aufgeklärten Zeitgenossen mehr erschüttern kann als der tragische Schönheits- und Jugendwahn, das erbärmliche Geschäft mit der Ware Schönheit und der Betrug an Kunden um ihre Schönheit, ihre Gesundheit und ihr Geld.

Und dann ist da noch seit Anfang April eine kritisch beäugte Ausstellung „Contemporary Muslim Fashion im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt am Main. Seitdem bewegt das Kopftuch-Thema bzw. das Thema der weiblichen Verhüllungspflicht im Islam wieder die Gemüter. Die Ausstellung wurde zuerst in den USA in San Francisco eröffnet, just als der „Muslim Ban“ der US-Regierung unter Donald Trump beschlossen werden sollte. Sehr wohl war diese Politik eine rassistisch motivierte Aktion gegen Menschen, die nicht zuletzt auch noch auf Grund der brutalen Interessenpolitik der USA in dieser Region ihre Heimat zurücklassen und fliehen mussten bzw. müssen. In diesem Kontext wurde also diese Ausstellung „Contemporary Muslim Fashion“ in den USA eröffnet und von vielen als ablehnende Reaktion auf Trumps „Muslim Ban“ begeistert aufgenommen, um Offenheit und Neugierde gegenüber eine fremde Kultur zu demonstrieren. Nun ist sie in Deutschland, in Frankfurt am Main – der Metropole des Mammon. „Modest Fashion“ – so beschreiben die Kuratoren die ausgesuchten Exponate. Von traditionaler Kleidung bis Haute Couture ist alles dabei, was die strengreligiöse Muslima auch heute tragen könnte. Es geht also auch darum, einen gewissen milliardenschweren Markt auszuloten. Der Geldbeutel der Interessierten kann, muss aber nicht so „modest“ sein wie die Exponate. Was aber bedeutet „modest“?

Modest – ein Adjektiv mit einem speziellen Deutungsfeld

„Comtemporary Muslim Fashion“ wirbt für sich mit dem Begriff „modest“. Das ist die englische Übersetzung vom arabischen „mutawādiʿ“, was soviel bedeutet wie bescheiden oder auch demütig.  „Modest“ gibt es auch im Deutschen, ist aber veraltet, dafür verwenden wir heute viel eher das Wort „bescheiden“.

Ich werde zur Beschreibung der muslimischen Bekleidung im Besonderen und der religiösen Bekleidung im Allgemeinen hier das Wort „modest“ weiterhin verwenden, aus zwei Gründen: 1. Als umgangssprachlicher Begriff zur allgemeinen Beschreibung der religiösen Kleidung eignet er sich gut. 2. Es ist sehr interessant, mit dem Begriffsfeld in unterschiedlichen Kontexten zu spielen und dadurch zu zeigen, wie dehnbar die Grenzen der Kontexte sein können. In dem deutschen wie englischen „modest“ klingen außer „bescheiden“ auch andere Bedeutungen mit, die je nach dem Kontext mitgemeint sein können bzw. mitgemeint sind: neben bescheiden im Sinne von einfach, dezent, zurückhaltend gehen wir über zu schlicht, mäßig, genügsam und anspruchslos weiter zu sittsam, schamhaft, keusch und züchtig –hier werden eindeutig Bezüge zu sexuellem Verhalten und zur entsprechenden Erscheinung hergestellt- und zum Schluss demütig, klein, gering. Deutsche Antonyme sind u.a. stolz, hochmütig, arrogant, unverschämt, eingebildet, eitel.

 Auch islamische Label werben mit dem Anspruch „mutawādiʿ“ für ihr Sortiment, und meinen damit vor allem nicht den individuell bzw. gesellschaftlich gerade modisch angesagten Trend, sondern religiös erlaubte Kleidung.

Da „modest“ in „Contemporary Muslim Fashion“ in der englischen Bedeutung verwendet wird, ist es interessant, sich die Synonyme und Antonyme zu „modest“ im Englischen  anzusehen: als Synonyme, also bedeutungsgleiche Adjektive gelten neben, decent (was ins Deutsche neben dezent auch als anständig übersetzt wird), decorous (schicklich, anständig in der Kleidung und im Benehmen), humble, shy, unpretentious, not excessive auch chaste, pure, clean, vestal, virginal, aber auch backward, bashful, coy, diffident (schüchtern, verschämt, scheu),  introverted, recessive, retiring, withdrawn (zurückhaltend); als Antonyme finden wir u.a. coarse (grob, ungeschliffen, anstößig), dirty, filthy, immodest, impure, indecent, obscene, smutty (schmutzig, zotig, obszön), unchaste, unclean, vulgar.

Welcher Bedeutungsinhalt steht in der muslimischen Bekleidung im Vordergrund und warum? Die zentrale Frage, die (nicht nur) den Ausstellungsbesuchern im Kopf herumgeistert, dürfte folgende sein: Warum also verhüllt sich die muslimische Frau?  …Fortsetzung folgt

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