
Bringt das Flammeninferno in der Türkei den
Untergang des Ein-Mann-Regimes?
Teil 1
04. August 2021
Seit einer Woche verschlingt das Feuer die Städte an der türkischen Mittelmeerküste und in der Ägais. Die Wut der türkischen Bevölkerung über die fehlende Koordination der Löschaktivitäten mischt sich mit Fragen nach ausbleibenden Löschflügen.
„Die Lage ist sehr ernst. Die Flammen sind an dem Grund des Wärmekraftwerks angekommen. Wenn irgend möglich muss ein Löschflugzeug mit Nachtsicht oder ein Helikopter in die Region geschickt werden.“
Dienstagabend postete der Bürgermeister von Milas in Muǧla, Muhammet Tokat (CHP- Cumhuriyet Halk Partisi/ Republikanische Volksparte) über Social Media, dass sich die Flammen schon dicht an das Kemerköy-Wärmekraftwerk genähert hätten.
Mittwochmorgen scheint die Gefahr vorerst gebannt worden zu sein. Es waren über Nacht zumindest hier Löschflieger im Einsatz. Das Feuer konnte 500-600 m vom Kraftwerk entfernt gelöscht werden. Dass der Wind sich gedreht hatte, war wohl auch ein glücklicher Zufall.
Eine Woche ist es her, seit die ersten Waldbrände in Manavgat, einem der beliebten Urlaubsorte der Provinz Antalya an der türkischen Mittelmeeerküste, vermeldet wurden. Sie breiteten sich rasend schnell entlang der türkischen Mittelmeerküste innerhalb eines ca. 145 km langen Streifens aus. Unter insgesamt 30 Städten und Ortschaften sind Adana, Antalya, Mersin, Muǧla, Denizli, Manisa, Isparta, Hatay und auch Hozat in Dersim (Tunceli) sind betroffen. Beliebte Urlaubsorta wie Bodrum, Marmaris, Milas stehen in Flammen.
Am Dienstag sind Löschflugzeuge aus Spanien und Kroatien eingetroffen. Die Feuerwehr ist im permanenten Einsatz. Doch wenn das Feuer an einem Ort gelöscht ist, entfachen an anderen Orten weitere Feuerquellen. Denn die Anzahl der vorhandenen Löschflugzeuge und – helikopter reicht nicht aus. Vielerorts ist ein Einsatz aus der Luft notwendig. Der starke und permanent seine Richtung wechselnde Wind erschwert zusätzlich die Löscharbeiten.
Zehntausende Menschen mussten evakuiert werden, verloren ihre Häuser und Tiere. Dörfer mussten geleert werden. Viele wurden über den Seeweg in Sicherheit gebracht. Verzweifelt suchen seitdem sowohl die Einwohner das Feuer mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, sei es auch nur mit Wasserschläuchen, wenn nicht, dann mit Wasserflaschen, Erde, Ästen und Zweigen zu löschen – denn in ihrer Ohnmacht gegen das Inferno musste das gesamte Land mit Entsetzen feststellen, dass nicht nur die Warnhinweise hinsichtlich eines sehr heißen, trockenen und stark windigen Sommers ignoriert und keine Vorbeugungsmaßnahmen getroffen wurden, sondern auch die notwendigen Löschflugzeuge plötzlich fehlten. Fast die gesamte Südküste und die Ägäis ist dem Feuer ausgesetzt. 8 Menschen verloren im Kampf gegen das Feuer ihr Leben.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoǧan besuchte mit einem unendlichen Wagenkonvoy, der auch noch den Weg von Feuerwehrwagen behinderte, die vom Brand verwüstete Stadt Marmaris, sagte 50 Mio YTL Soforthilfe (rd. 5 Mio Euro) zu und versprach neue Dorfhäuser zu geringen Konditionen. Zum Abschluss seiner Rede schleuderte er nachhaltig verpackte! – es wurde Wert darauf gelegt, dies zu betonen -Teepäckchen auf die Menge. Genauso, wie er dies nach der Flutkatastrophe vor zwei Wochen in Rize an der Schwarzmeerküste auch getan hatte. Rize lebt vom Teeanbau, so hat der Präsident also den Teebauern Tee geschenkt. Wie sehr sich nun die Betroffenen über den Tee gefreut haben, darüber gibt es keine Angaben. Die türkische Öffentlichkeit rätselt bis heute, was dieses unerwartete Teegeschenk ausgerechnet nach einer Flut- bzw. Brandkatastrophe zu bedeuten hat…
Aber noch okkulter wird es bei der folgenden Frage: Was war mit den Löschflugzeugen der gemeinnützigen Türkischen Luftfahrtvereinigung THK (Türk Havva Kurumu) und ihren Piloten passiert – die Feuerwächter und Luftfeuerwehr der Nation? Die im Notfällen auch anderen Ländern der Region ihre Dienste zur Verfügung gestellt hatte?
Es gibt mehrere Aspekte, auf die hinsichtlich des elenden Krisenmanagements des Pseudo-Präsidialsystems von Recep Tayyip Erdoǧan und seiner AKP-Regierung, ein Licht geworfen werden muss. Aber beginnen wir zunächst einmal mit der Frage: Wo waren die Löschflugzeuge der Türkischen Luftfahrtvereinigung THK (Türk Hava Kurumu)?
Atatürks Erbe – Die Türkische Luftfahrtvereinigung – Türk Hava Kurumu (THK)
Die THK ist ein 1925 nach der Gründung der Republik von Mustafa Kemal Atatürk ins Leben gerufene gemeinnützige Verein zur Förderung und Entwicklung der zivilen, militärischen, sportlichen sowie touristischen Luftfahrt. Der Verein spielte auch in den Anfangsjahren eine große Rolle bei der Gründung der türkischen Luftfahrtindustrie, bis diese von größeren Firmen der Rüstungsindustrie, wie u.a. ASELSAN, übernommen wurde. Finanziert wurde die THK bis 2013 durch Spenden, u.a. auch durch religiöse Almosen. Traditionell wurden die Gläubigen aufgerufen, am Opferfest die Felle der Tiere nach der Schlachtung an die THK zu übergeben – ein Dorn im Auge der religiösen Orden und Logen. Im Jahre 1986 autorisierte der damalige Regierungschef Turgut Özal nun die Sozialhilfestiftung (Sosyal Yardımlaşma Vakfı), die Opferfelle einzusammeln. Doch im Hintergrund begann ein harter Kampf der religiösen Gruppen um die meisten Opferfelle – viel Fell, viel Geld. 1992 fiel diese Befugnis zurück an die THK. Aber 2013 wurde ihr diese schließlich offiziell entzogen.
Im Oktober 2019 wurden in der THK auf Grund „finanzieller Engpässe“ Treuhänder eingesetzt. Während des Folgejahres versuchten die Treuhänder, die Flugzeuge der THK zu veräußern – ohne Erfolg. Daraufhin entließen sie einen großen Teil der erfahrenen Piloten, Techniker und des Bodenpersonals und den Leiter der Revision. Cenap Aşçı, der Leiter der Treuhandschaft, sich in einem Interview vom 30. Juli 2021 auf CNN Turk auch nicht für Löschdienste verantwortlich und geierte die Hochzeit einer Ziehtochter, während sich das Feuer durch die Wälder fraß.
Inzwischen hat die THK selbst auch nicht mehr die Befugnis, mit der eigenen Flotte Löschaufträge entgegenzunehmen. An entsprechenden Ausschreibungen beteiligt sich – nun geschäftsführend in Namen der THK – eine private Firma aus der Verteidigungsindustrie, die CMC (wohl von hochrangigen Militärpersonen geführt), die die Aufträge an ausländische Löschdienste vergeben kann – selbst ohne über die geringsten Kenntnisse vom regionalen geographischen, klimatischen und technischen Erfordernissen zum Feuerlöschen verfügen. So wurden für die laufenden Löscharbeiten drei russische Helikopter für 1,3 Mio YTL (Yeni Türk Lirası – Neue Türkische Lira), umgerechnet 130.000 Euro/Tag, gemietet. Gingen die Aufträge wie üblich an die THK, hätte dies nur einen Bruchteil dessen gekostet.
Der Cumhuriyet – Journalist Tuncay Mollaveisoğlu wirft dem türkischen Minister für Landwirtschaft und Forst, Bekir Pakdemirli, vor, neue teure Löschhelikopter und -flugzeuge gekauft zu haben, anstatt die für die Region viel geeignetere THK-Flotte zu warten und instand zu setzen. Die Dienste der THK würden durch die Hintertür privatisiert. Die THK mit ihren unverzichtbaren Erfahrungen und Leistungen würde einfach ausrangiert und das vorhandene Inventar dem Verfall preisgegeben. Während immense Summen in die Privatisierung des Katastrophenschutzes flössen, warteten die leicht wieder einsetzbaren Flugzeuge der THK in ihren Hangars – übrigens alle von demselben Typ wie die neulich aus Spanien geschickten Löschflugzeuge.
Einen weiteren konstruierten Vorwand für den Ausschluss der THK-Flugzeuge bildete für den Forstminister und die CMC wohl die Wassertragekapazität: es wurden 5000 Liter vorgeschrieben. Die THK-Flieger hätten eine Kapazität von 4.900 Liter. Die Differenz von 100 Litern reichte dann aus, um die THK willkürlich von der Auftragsvergabe auszuschließen. So habe der Forstminister Pakdemirli die Institution THK, ein historisches Erbe Kemal Atatürks, für die eigenen Interessen systematisch ausgehöhlt.
Staatspräsident Erdoǧan hatte nach den Feuerausbrüchen erklärt, die THK hätte keine geeigneten Löschflugzeuge mehr, sie seien alle veraltet, nur Schrott aus dem Jahre 1960. Die im Hangar wartenden Flugzeuge sind jedoch vom Baujahr 2009. Zudem führten Experten und ehemalige hohe Mitarbeiter der THK aus, dass z.B. die aus Russland angemieteten drei Helikopter für die bergigen Gebiete sehr ungeeignet seien, da sie bei unebenen Bereichen auch zu Tiefflügen ansetzen müssten. Dies sei mit den vergleichweise kleineren, „flinken“ Flugzeugen der THK möglich, mit den Helikoptern eben nicht. In einem Interview mit halk.tv sagte der entlassene Leiter der Revisionsabteilung Bayram Duman, sechs von neun Flugzeugen im Hangar könnten immer noch in 4-5 Tagen startklar gemacht werden. Neue Flugzeuge müssten jedoch auch gekauft werden; diese würden ausgeschrieben, so der Forstminister Pakdemir, „sobald unser verehrte Staatspräsident seine Erlaubnis erteilt.“
Wären die Flugzeuge also regelmäßig gewartet und ihre Einzelteile rechtzeitig erneuert worden, hätten sie problemlos bei den derzeitig in der Region wütenden Bränden eingesetzt werden können.
Doch geht es der AKP und Erdoǧan nur um die Beseitigung eines angesehenen Erbes des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk?
Der Revisionschef Bayram Duman erzählte auf halk tv Folgendes über die angeblichen „finanziellen Schwierigkeiten“ der THK. Finanzielle Probleme existierten nach dessen Aussagen nämlich gar nicht – im Gegenteil: die THK verfüge über robuste institutionelle Assets und sei eine relativ vermögende Einrichtung. Sie habe 1.300 Immobilien, 40 davon stünden zum Verkauf an. Die jetzige Regierung wolle diese einnehmen (in diesem Zusammenhang wird in der Türkei immer öfter das Wort „çökmek“ aus dem Mafia-Jargon benutzt, im Sinne von „sich auf etwas setzen und es zum Eigentum erklären“), um daraus Profit zu schlagen. Zudem gebe es in der Istanbuler Altstadt in Lâleli ein Fünfsternehotel, die Tayyare Apparments („tayyare“ ist das osmanische Wort für „Flugzeug“, aus dem Arabischen). Es wurde nach der Republikgründung von Atatürk der THK übereignet. Der aktuelle Wert: 500 Mio Dollar. Es geht also um ein beachtliches Vermögen, an dessen Kontrolle es der AKP-Regierung wohl viel liegt.
Die Kosten „des Ansehens“ und die Ausgaben des Palastes
Immer wieder ist von den dreizehn Flugzeugen des Präsidenten die Rede, von den ultramodernen, teuren Dienstwagen, die ihm und seinen Regierungsmitglieder zur Verfügung stehen. Sechs Minister haben ihr eigenes Flugzeug, damit sie keine Tarifflüge buchen müssen. Warum? „Für das Ansehen soll an nichts gespart werden“ sagte Erdoǧan immer wieder (nach der türkischen Redewendung: „İtibardan tasarruf olmaz“). Das Ansehen ihres Präsidenten sollte demnach dem türkischen Volk einiges Wert sein – unter anderem ein Präsidentenpalast mit seinen über 1.000 Zimmern und dem feinsten Komfort.
Aber damit nicht genug: Ich persönlich war geschockt, als ich von 11 weiteren ähnlichen Bauten erfahren musste, die dem Amt bzw. der Person des jetzigen Präsidenten Erdoǧan zur Verfügung stehen! Neben einigen fünf historischen prächtigen Bauten, unter ihnen auch der Dolmahçe Sarayı, ließ Erdoǧan noch sechs weitere Serails errichten. Einen für den Sommer, einen für den Winter, einen für etc. etc. Einer wurde kürzlich in Marmaris fertiggestellt. 80% von Marmaris ist gerade durch den Brand zerstört worden. Der Palast steht noch.
Wenn es um sein persönliches Ansehen geht, scheint der türkische Präsident keine Kosten zu scheuen – Staatskosten, versteht sich.
Im großen Präsidentenpalast („Aksaray“ bzw. „Külliye“) sollen die Ausgaben eines Tages 10 Mio YTL betragen (von den ökologischen Kosten beim Bauen, also Zehntausenden von gefällten Bäumen und Tonnen von feinstem Sand einmal abgesehen). Der Mindestlohn beträgt 2.825 YTL. Zu einer Inflation von 18,95% (Tendenz steigend), einer Arbeitslosenquote von 27,4, dem steigenden Verbraucherpreisindex und einer sich immer weiter öffnenden Schere zwischen arm und reich werden die wirtschaftlichen und politischen Folgen des apokalyptischen Sommers hinzukommen.
Ein Löschflugzeug soll 43 Mio YTL kosten, also nach dem heutigen Wechselkurs ca. 4,3 Mio Euro. Die Kosten des Palastes sollen sich auf 10 Mio YTL pro Tag, also circa 1 Mio Euro belaufen. Für die Palastkosten von 10 Tagen ließen sich nach Adam Riese 2 Löschflugzeuge von bester Qualität erstehen, die heute überlebenswichtige Einsätze fliegen könnten.
Es stehen der Türkei explosive Tage bevor. In der Bevölkerung hat sich eine immense Wut aufgestaut, die sich sehr bald entladen kann.
Ende Teil 1 – Fortsetzung folgt.
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