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Bringt das Flammeninferno in der Türkei den Untergang des Ein-Mann-Regimes? – Teil 2

Bringt das Flammeninferno in der Türkei den Untergang des Ein-Mann-Regimes?

Teil 2

Nach dem Feuer die Flut – Kastamonu an der Schwarzmeerküste Quelle: Xinhua

13. August 2021

Teil 1

Seit dem 28. Juli waren in der Türkei mehr als 200 Feuer ausgebrochen, darunter 16 große Waldbrände. In Antalya und Muǧla, in Burdur, Denizli und viele anderen Provinzen – genaugenommen sind in mehr als die Hälfte der insgesamt 81 Provinzen Feuer ausgebrochen – scheinen die Brände bewältigt worden zu sein – doch die Zerstörungen sind immens. Über 100.000 ha Wald, darin Millionen von Lebewesen, sind in zwei Wochen abgebrannt, ganze Biotope vernichtet worden.

Der türkische Minister für Landwirtschaft und Forst, Ekrem Pakdemirli, gab Entwarnung, sagte aber zugleich, dass in der im „Mittelmeergürtel“ jederzeit Feuer ausbrechen könnten. Doch im Vordergrund stand für ihn die Normalisierung.

„Wegen der großen Brände waren das gesamte Land in Alarmbereitschaft. Wir müssen aus dem Zustand der Alarmbereitschaft heraustreten und in den normalen Lauf Lebens übergehen,“ sagte Pakdemirli.

Während er dies sagte, brach nach den neuesten Meldungen ein neues Feuer aus, diesmal in Foça in İzmir. Die Gefahr scheint also noch nicht ganz gebannt zu sein.

Polizei und Gendarmerie sind im Einsatz – und das Militär?

Auch Traktoren und Wasserwerfer (die TOMAs, die eigentlich gegen Demonstranten vorgesehen waren bzw. sind) sind im Einsatz. Die Bevölkerung hilft mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Polizei und Gendarmerie sind vor Ort, um für Sicherheit zu sorgen.

Nur vom Militär, das in anderen Ländern bei den Löscharbeiten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln in Einsatz ist, ist in der Türkei keine Spur. Über die Gründe wird heftig diskutiert: Hat Erdoǧan Angst vor einem erneuten – diesmal womöglich erfolgreichen – Putschversuch? Könnte das Militär sich mit dem leidenden Volk solidarisieren und Aktionen gegen Erdoǧan einleiten? Es wirft schon Fragen auf, wenn eine Institution, der das türkische Volk, zumindest bis vor einigen Jahren blind vertraut hat, in der bittersten Not der Bevölkerung nicht zu sehen ist.

Gift und Schadstoffe – das Erbe des abgebrannten Kohlekraftwerks in Muǧla

Das Kemerköy – Kohlekraftwerk in Muǧla, für den der Bürgermeister von Muǧla über Social Media verzweifelt um Hilfe  gefleht hatte, wurde durch das Feuer stark beschädigt. Immerhin konnten die Mitarbeiter und explosives Material hinausgeschafft werden. Doch Experten erklären, dass der Brand des Kraftwerks schwere gesundheitliche Schäden mit sich bringen werde. Denn damit hätten sich Schwermetalle, chemische Stoffe, Rauchpartikel und eine sehr hohe Konzentration von Kohlenmonoxyd verbreitet. Diese würden sowohl die Gesundheit aller Lebewesen als auch die natürliche Umwelt belasten.

Der materielle Schaden, den die nunmehr seit zwei Wochen andauernden  Brände insgesamt verursacht haben, steht noch nicht fest – von den Schäden für Mensch und Natur ganz zu schweigen.

Brand an der Mittelmeerküste, Flut an der Schwarzmeerküste

Während an der Mittelmeerküste und in der Ägäis noch gegen Brände gekämpft wird, tauchen Flutwellen von bis zu vier bis fünf Metern Städte an der Schwarzmeerküste unter Wasser. Vor drei Wochen waren Rize und Artvin schwer von einer Flutkatastrophe betroffen. Heute sind es die Städte Kastamonu, Bartın und Sinop in der westlichen Schwarzmeerregion, wo es nach neuen Meldungen schon 31 Todesopfer gibt. Der Katastrophenschutzbehörde AFAD wurden 329 Vermisste gemeldet. Der Staatspräsident hat eine Hilfskampagne angekündigt. Alle drei Provinzen wurden am Freitag zu Katastrophengebieten erklärt.

Der Sommer hat die Türkei mit Feuer und Flut in Atem gehalten. Sehen wir uns an, wie die Politik mit der Situation umgeht.

Politische Polarisierung auch in der Katastrophen

Dass das Feuer ausgerechnet an den, für den Tourismus existenziellen, sommerlichen Badeorten ausbrechen musste, bringt einen heftiger Schlag in die Bauchhöhle – vor allem des Ministers für Kultur und Tourismus Mehmet Nuri Ersoy selbst. Ersoy ist Inhaber einer Hotelgruppe und eine Reisefirma. Ende 2020 hat er sogar – selbst seit 2018 im Amt – das Hilton in Bodrum gekauft. Es lässt sich annehmen, dass Ersoy unter anderem auch seine eigenen Investitionen retten wollte, als er gleich nach den ersten Löscherfolgen erklärte :

„Wir sehen, dass sobald das Feuer gelöscht worden ist, die Stornierungen zurückgehen und die Reservierungen steigen.“ (Übersetzt von der Autorin)

Und weiter sagte er:

„Die größte Hilfe, die wir der Region zukommen lassen können, ist es, zur Normalisierung beizutragen. Das einzige was wir von unserem Volk wollen, ist, dass sie ihre Urlaubspläne hier verwirklichen.“ (Übersetzt von der Autorin)

Doch eine Tatsache läßt sich nicht bestreiten: Ohne internationale Hilfe würde die Türkei möglicherweise heute noch brennen. Noch am 30.08. erklärte Forstminister Pakdemirli, die Förstereien in der Türkei gehörten hinsichtlich der Humanressourcen wie auch der Technologie und Ausstattung zu den besten der Welt. Was die Flugzeuge betreffe, verfüge das Land über Möglichkeiten, die man auf der Welt selten finden würde. Das Land verfüge über die stärkste Luftflotte in der Geschichte der Türkischen Republik. Wer das nicht wisse, könne in die Vergangenheit schauen. Große Worte.

Nach solch einer Erklärung könnte man erwarten, dass die Türkei allein mit den Walbränden fertig würde. Dennoch fiel es der AKP-Regierung sichtlich schwer, Verantwortung zu übernehmen. Schnell wurde die Schuld in den Verwaltungen der jeweiligen brennenden Provinzen gesucht. Vor allem in den Provinzen am Mittelmeer und in der Ägäis, die für den Tourismus sehr wichtig sind, stellt die oppositionelle CHP die Bürgemeister. Die Regierung verweigerte einfach die Zusammenarbeit mit ihnen und lud sie noch nicht einmal zu Krisensitzungen ein. Damit nicht genug: Präsident Erdoǧan gab den CHP-Bürgermeistern die Schuld für die Ausbreitung des Feuers und die gescheiterte Brandbekämfung.

Medien zwischen Kriminalisierung und Instrumentalisierung

Ausländische Hilfe wurde nur zögernd angenommen, Hilfsangebote – z.B. aus Israel und Griechenland – am Anfang gar nicht erst zur Kenntnis genommen.

Ein „GLOBAL CALL Help Turkey“-Aufruf über Social Media, der millionenfach geteilt wurde, war Anlass für die türkische Generalstaatsanwaltschaft, Ermittlungen in die Wege zu leiten. Der Grund: Das „Help Turkey“-Etikett sei ein „Manipulationsversuch einiger Individuen und Gruppen, die die Türkei als „unfähig“ brandmarken,“Panik, Angst und Betroffenheit in der Öffentlichkeit auslösen“ und „den Staat und die Regierung der Republik Türkei  erniedrigen“ wollten. Solche Accounts seien auch vorher von terroristischen Organisationen mit ähnlichen Absichten benutzt worden.

Der Aufruf „Global Call – Help Turkey“ wurde über Social Media gepostet und millionenfach geklickt und weiterverbreitet.

Medien werden aufgefordert, nicht über die Brände vor Ort zu berichten, nicht mit Betroffenen zu sprechen und natürlich insgesamt keine kritischen Beiträge zur Brandbekämpfung zu bringen. Wenn sie das dennoch tun, kann es vorkommen, dass AKP-Anhänger in eine Sendung einfallen– wie es dem (der oppositionspartei CHP nahen) Fernsehkanal halk tv während einer Lifeübertragung in der Nacht vom 05. auf den 06.08.2021 passierte. Der Hohe Rundfunkrat RTÜK beschloss Strafgebühren für 6 Rundfunkkanäle, die diesen Anweisungen nicht gefolgt waren. Unter anderem war z.B. die Aussendung folgenden Satzes der Grund für eine Strafzahlung:

„Die Flammen kommen so schnell, es ist wie ein Alptraum.“

(von der Autorin übersetzt)

Es wurde den Kanälen unter Androhung von Strafen nahegelegt, eher die Orte zu zeigen, an denen die Brände erfolgreich gelöscht worden waren.

Währenddessen zeigten regierungsnahe Medien wie yeni akit bevorzugt unbemannte Drohnen, mit denen „in einer Minute ein Gebiet von 35 Millionen Dekar Größe (nach eventuellen Brandquellen) durchsucht“ würde, so teilte der Forstminister Pakdemirli am 08. August den Medien mit. 2020 soll nur eine von diesen Drohnen 234 Waldbrände entdeckt haben. Der Artikel liest sich wie ein Text aus einer Promotionskampagne für die Drohnen, unterstützt durch einen kleinen Film, der eine über einem Brandherd schwebende Drohne zeigt, ohne Text, aber mit pathetischer Musik unterlegt.

Drohneneinsätzen waren in den letzten zwei Wochen bei Löscharbeiten nicht zu beobachten. Außerdem: Feuer aufspüren ist eine Sache, Feuer löschen eine andere.

Fazit

Alles in allem drängt die Politik auf eine schnellstmögliche Herstellung der „Normalität“ hin. Alles soll wieder seinen gewohnten Gang einnehmen. Dem renommierten türkischen Journalisten Murat Yetkin ist nicht entgangen, dass ausgerechnet am ersten Tag der verheerende Brände an der Mittelmeerküste am 28. Juli 2021 im Amtsblatt ein neues, frisch vom Präsidenten Erdoǧan unterschriebenes Gesetz veröffentlicht wurde: Das Gesetz Nr. 7334 zur Förderung des Tourismus und zur Änderung einiger (damit zusammenhängender) Verordnungen aurorisiert den Minister für Kultur und Tourismus,  Mehmet Nuri Ersoy (siehe oben), über die Nutzung der Wald- und vor allem der Küstengenbete zu entscheiden. Welche Gebiete die Bebauungspläne abdecken sollen, darüber befindet unmittelbar der Präsident. Was dies bedeutet, ist nicht schwer zu erraten: Die gesamten abgebrannten Waldflächen stehen nun den Tourismusinvestoren für den Bau von Hotelanlagen offen. Der ungehinderte, weil öffentliche, Zugang zu den Küsten wird verwehrt, da das Land privatisiert, kapitalisiert und noch intensiver als bisher zur Ausbeutung freigegeben wird. Auch Murat Yetkin fragt sich: Zufall?

Die Feuer (und Flut-) katastrophen wurden und werden weltweit – von Kalifornien über Australien, von Russland über Algerien, von Italien über Griechenland bis zur Türkei – mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von der globalen Erwärmung ausgelöst, von den hohen Temperturen und der trockenen Luft. Also Brandstiftung, wie es sie in der Vergangenheit zum Freibrennen fürTourismuszwecke oft gegeben hat, nicht nur in der Türkei, war schon fast gar nicht mehr notwendig, hat es aber an vielen Orten bei der Gelegenheit auch gegeben.

Als letztes will ich noch eine Bemerkung des Bürgermeister von Gündoğmuş, einer Stadt in Antalya, zitieren. Mehmet Özeren (AKP) sagte den Einwohnern, deren Häuser durch den Brand zerstört worden waren, die TOKI (staatliche Wohnungsbaugesellschaft in der Türkei, derzeit unter vollständiger Kontrolle von Präsident Erdoǧan) würde ihnen neue Häuser errichten, die sie in 20 Jahren abbezahlen könnten, und fügte hinzu: 

„Diejenigen, deren Haus alt ist, werden sagen „Ach, wäre doch auch unser Haus abgebrannt!“  “ (Übersetzt von der Autorin)

So schön würden die neuen Häuser sein! Die Aufträge an die Bauunternehmen werden von Erdoǧan vergeben. Vermutlich werden sie an Tochterfirmen der fünf größten Holdings, von der Opposition „die Fünfer Gang“ („beşli çete“) genannt, gehen, die jeden Bauauftrag der Regierung unter den Nagel reißen, unter ihnen die MNG –Holding. Sie ist dafür berüchtigt, nach dem großen Brand in Muǧla im August 2008 sofort das Brandgebiet für den Hotelbau ergattert zu haben, trotz der Versprechen seitens der Regierung, der Ort würde als Waldgebiet aufrechterhalten. Sicher ist jedoch, dass die Aufträge an regierungsnahe Unternehmen gehen werden.

Diese unglückliche Aussage des Bürgemeister Özeren ist ein Zeichen dafür, dass die Politiker so sehr in einer Verwertungslogik befangen sind, dass sie überhaupt nicht verstehen, was gerade passiert. Klimawandel? Erderwärmung? Der jüngste Bericht des Weltklimarats ging im permanenten politischen Gerangel völlig unter. Von der Thematisierung dieses Problemkomplexes ist die Politik in der Türkei – Regierung wie Opposition – noch weit entfernt. Normalisierung ist das Schlagwort der apokalyptischen Saison – und wohl auch darüber hinaus.

 


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