In den letzten Wochen haben mich ein Ereignis und seine Hintergründe stark beschäftigt, nämlich der Rücktritt des Direktors der Stiftung Jüdisches Museum Berlin, Peter Schäfer. Für manche ein Triumph, für andere ein großer Verlust, ein Opfer im Kampf um die Deutungshoheit über den Begriff des Antisemitismus.
Als ehemaliger Guide im Jüdischen Museum Berlin merke ich natürlich auf, wenn mein ehemaliger Arbeitsplatz in die Schlagzeilen gerät. Am 14. Juni ist der Museumsdirektor Peter Schäfer, ein hochdekorierter Judaist, aber selbst kein Jude, zurückgetreten. Zu meiner Zeit war noch Werner Michael Blumenthal, selbst Jude, ein Überlebender der Shoah und ehemaliger Finanzminister unter US-Präsident Jimmy Carter, das museale Oberhaupt.
Was war der Rücktrittsgrund? Peter Schäfer ging, um «um weiteren Schaden vom Jüdischen Museum Berlin abzuwenden». Aber was könnte dem millionenfachen Touristenmagneten, dem „Must-see“ für jeden Berlin-Besucher und dem architektonischen Manifest (Daniel Libeskind) der deutsch-jüdischen Geschichte Schaden zufügen? Der Anlässe sind dreierlei, auf jede einzelne ist im Folgenden einzugehen. Doch jetzt schon sei angemerkt: alle drei rückten Peter Schäfer und mit ihm das Jüdische Museum Berlin gefährlich nah an die Anschuldigung, „antisemitisch“ zu sein. Wie das?
1. Die Ausstellung „Welcome to Jerusalem“
„In Jerusalem findest du Steine oder Verrückte“ sagt ein altes jüdisches Sprichwort, das den möglichen ersten Eindruck von Jerusalem auf den Punkt zu bringen sucht. Jerusalem ist womöglich die religiöseste Stadt auf dem Globus. Dass diese Stadt als Mittelpunkt und gewiss nicht selten als Zankapfel dreier Weltreligionen eine bewegte Geschichte und eine nicht weniger turbulente und facettenreiche Gegenwart hat, hat das Jüdische Museum Berlin mit der Ausstellung „Welcome to Jerusalem“ vom 11. Dezember 2017 bis 01. Mai 2019 zu erzählen versucht. Das Kernstück der Ausstellung war ein riesiges Modell des Tempelbergs auf dem Hügel Moria (hebräisch heißt das Heiligtum mit der Klagemauer an der Westseite des Tempelbergs auch „Zion“, auch der „Berg Zion“ genannt, wobei über die Jahrhunderte auch die Umgebung das Heiligtums bzw. das Land Israel auch als „Zion“ gilt; die Muslime nennen ihr Heiligtum auf dem Tempelberg arabisch „al-haram al-sherif al-quds“ mit dem Felsendom und der Al-Aqsa-Moschee).
Laufende Ereignisse machen dem Namen des Jerusalemer Hügels („moriah“ bedeutet auch „Streit, Auseinandersetzung“) alle Ehre: In der Austellung war z.B. der Schriftzug „Palästine belongs to the Palästinians“, getragen von einer Gruppe von Palästinensern auf einer Demonstration, war zu lesen. Ebenso wurden Fotos und ein Video mit streng religiösen antizionistischen ultra-orthodoxen Juden in traditioneller Kleidung zu sehen, die auf ihrem Demonstrationszug mit dem Slogan „Judaism rejects Zionism and the state of Israel“ und ein Video mit „We mourn the 50 year existence oft he state of Israel“ („Wir betrauern die 50-jährige Existenz des Staates Israel.“) ihre Feindschaft zu dem Land, dessen Bürger sie sind und als Juden dem zionistischen Anspruch des Staates entsprechend auch sein sollen, bekundeten. Und dann haben die Besucher der Ausstellung da noch von den Mauer-Frauen (N’schot ha-Kotel, eine jüdische Frauenrechtsorganisation) erfahren, die für einen gleichberechtigten Zugang zum Gebet an der Klagemauer kämpfen, mit allem, was dazugehört: mit Kippa, Gebetsschal, Gebetsriemen, Lesen und Rezitieren aus der Tora (alles bisher den Männern vorbehalten). Bisher dürfen die Frauen in einer kleineren Sektion neben den Männern an der Klagemauer beten (ihre Forderung nach einer Gleichberechtigung der Geschlechter in der Religion ist vergleichbar mit der kürzlich angelaufenen Bewegung Maria 2.0 in der katholischen Kirche). All diese gesellschaftlichen Kämpfe haben natürlich mit der Ausstellung nicht geendet und weisen in die Zukunft der Stadt.
Noch im Rahmen dieser Ausstellung wurde ein palästinensischer Friedensforscher, Sa’ed Atshan, der über das Leben der homosexuellen Palästinenser*innen in Ost-Jerusalem berichten sollte/wollte, auf den Protest des israelischen Botschafters wieder aus dem Programm genommen. Nach der Aussage des Botschafters war er in der BDS-Bewegung (siehe unten) aktiv.
Was der Ausstellung und damit seinem Direktor u.a. vom Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Peter Schuster, vorgeworfen wurde, war, dass die jüdische Identität der Stadt in der Ausstellung untergegangen sei. Jerusalem sei als „die ewige Hauptstadt des jüdischen Volkes“ nicht mehr zu erkennen gewesen. Auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte interveniert und gefordert, die Ausstellung abzusetzen. Der Grund: die jüdische Perspektive werde in der Ausstellung nicht berücksichtigt, während der palästinensischen zu viel Raum gegeben würde. Der israelische Ministerpräsident forderte sogar in einem Brief an Angela Merkel, die finanzielle Förderung des Museums einzustellen, weil es antiisraelische Aktionen unterstütze und dabei die Sichtweise der israelischen Regierung missachte. Das Jüdische Museum hat nach der Ansicht des Zentralrats und Netanjahus also proisraelisch, zionistisch zu sein.
Behauptung 1 – Jerusalem ist jüdisch und gehört nur den Juden.
Behauptung 2 – Die jüdische Perspektive (hier: die Perspektive der israelischen Regierung hat Vorrang.
Meine erste Fragensammlung zu diesen Behauptungen lautet hier- auch in Anbetracht des oben beschriebenen Jerusalemer Panoramas: Wer oder was ist denn nun jüdisch? Und: Wer bestimmt darüber, wer oder was jüdisch ist? Was bedeutet es für die Jüdinnen und Juden, wenn der Staat Israel darüber bestimmt? Was heißt das für die anderen Jerusalemer*innen, die nicht-jüdisch sind? Sind sie dann als Nicht-Juden untergeordnete Menschen, Bürger zweiter, dritter etc. Klasse?
2. Besuch des iranischen Kultur-Attachés
Der iranische Kulturattachè Seyed Ali Moujani besuchte am 08. März dieses Jahres das Jüdische Museum. Der Museumsdirektor höchstpersönlich empfing den Botschafter, führte ihn durch das Museum. Es fand ein Gespräch statt und es wurden Fotos aufgenommen, die auf der offiziellen Website der Kulturabteilung der iranischen Botschaft erschienen. Dabei überreichte Moujani dem Museum die deutsche Übersetzung eines tausendjährigen Schriftstücks (Tuhaf al-Uqul), in dem es um die Einstellung der wichtigsten religiösen schiitischen Führer zum Judentum geht.
Moujani erklärte in dem Gespräch einerseits dem Judentum als eine der drei Offenbarungsreligionen Hochachtung im Iran genieße, er sprach von den Bemühungen der Iraner zur Rettung der polnischen und deutschen Juden im Zweiten Weltkrieg. Er gab viele Beispiele der iranisch-jüdischen Zusammenarbeit im Land an (ca. 20 000 Juden leben im Iran) und sprach von einem unberechtigten Antisemitismus-Vorwurf gegenüber dem Iran. Er sprach aber auch davon, dass das Judentum vom Zionismus getrennt betrachtet werden sollten, Ungeläufiges von sich gebend: „So wie wir die Grenze zwischen dem IS (Obacht! Anmerkung der Autorin) und dem Islam … verdeutlichen, müssen wir auch die Grenze zwischen dem Zionismus (sic!) und dem Judentum bewahren.“
Dasselbe gelte für den Antisemitismus, der keinesfalls mit dem Antizionismus gleichzusetzen sei. Moujani sagte Folgendes: „Ein weiteres Thema, auf das ich Ihre Aufmerksamkeit richten möchte ist, dass heutzutage über die zwei völlig konträren Begriffe Antisemitismus und Antizionismus neue Töne zu vernehmen sind wie Gleichsetzung beider Begriffe, was in Form eines Paradigmas wieder einmal ein Schatten über einen Teil von Europa wirft und eine realitätsferne Darstellung religiöser Überzeugungen und ursprünglicher Werte der Religionen liefert.“
Interessant sind auch seine folgenden Ausführungen: „Die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts zeigen uns, dass das, was als Antisemitismus in Europa den Boden für die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges bereitete, weniger der christlichen Theologie zuzusprechen, als auf bestimmte politische und ideologische Lesarten zurückzuführen ist und die Ursache für eine der größten Tragödien der gesamten Weltgemeinschaft war, mit der Zentralität Europas.“ Für den Diplomaten eines Landes, dem permanent Antisemitismus und die Leugnung des Holocaust vorgeworfen wird, ist diese Feststellung schon bemerkenswert.
Peter Schäfer stimmte ihm dem Text gemäß zu (Den vollständigen Text hat Henryk M. Broder noch schnell auf seine Seite hinübergerettet, bevor Peter Schäfers Redeteil auf Bitten des Museums gelöscht wurde; dafür danke ich Henryk M. Broder sehr, auch wenn wir in der Textauslegung absolut nicht übereinstimmen.) und wurde seinerseits mit folgenden Worten zitiert:
»Sie wiesen auch auf einen wichtigen Punkt hin, ein Paradigma welches heute nicht nur in Frankreich zu beobachten ist, sondern auch in Deutschland. Es betrifft die begriffliche Gleichsetzung von Antisemitismus mit dem Antizionismus, dieses sollte unbedingt Beachtung finden und unter die Lupe genommen werden (Hervorhebung durch die Autorin . Ich war sehr froh, als ich hörte, wie Sie das mit der Grenze zwischen dem Islam und dem IS verdeutlicht (Hervorhebung durch die Autorin) haben.« Und weiterhin sagte er:
»Obwohl wir den Namen ›Museum für jüdische Geschichte‹ tragen, möchten wir nicht unter dem politischen Einfluss irgendeines Staates stehen.« (Hervorhebung durch die Autorin)
Anschließend besuchte Moujani in Begleitung der Kuratorin (die inzwischen auch entlassen worden ist) die Ausstellung „Welcome to Jerusalem“.
Nun wurden zwar die Bilder und der Text mit den Aussagen Peter Schäfers auf Bitten des Museums aus der Website des iranischen Kulturrarts entfernt, doch die Protestlawine war, u.a. in den sozialen Medien, schon am Rollen.
Das Museum „hofiere“ einen Staat, der die Vernichtung Israels zum Ziel habe, mache sich zum „Sprachrohr der antizionistischen Propaganda des iranischen Regimes“ (Text der Stop the Bomb-Kampagne auf der israelischen Online-Nachrichtensite HaOlam erschien als Aufmacher auf diversen Nachrichtenseiten, u.a. im presseportal) Das Jüdische Museum Berlin zeige damit „Deutschland von seiner erbärmlichen Seite.“ Peter Schäfer wurde vorgeworfen, er hätte dem antisemitischen Iran eine Propagandaplattform geboten und stimme sogar in puncto der Definitionen des Antisemitismus und Antizionismus überein. Somit setzen wir hier den Standpunkt der Schäfer-Gegner folgendermaßen fort:
Behauptung Nr. 3: Judentum = Zionismus ergo:
Behauptung Nr. 4: Antizionismus = Judenfeinschaft = Antisemitismus
Ich will keine Gleichung IS = Zionismus, die sich aus Moujanis Worten ziehen lässt, aufmachen; abgesehen von der Tatsache, dass dieser Vergleich des Diplomaten Seyed Ali Moujani mindestens als diplomatisch sehr ungeschickt bezeichniet werden kann und nicht zielführend ist – um es mild auszudrücken; er ist für den Antisemitismus-Begriff schlicht irrelevant. Der „IS“ gehört zu einem unverwandten Kontext und kann nicht aus heiterem Himmel in diesen Diskurs transplantiert werden. Nur so viel sei angemerkt: ich kann den Protest in diesem einen Punkt nachvollziehen.
Kommen wir zu meinen Fragen: Ist es also nicht möglich, antizionistisch zu sein, ohne antisemitisch zu sein? Dass es antizionistische Juden gibt, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen, haben wir in der Ausstellung „Welcome to Jerusalem“ bereits gesehen. D.h. also, es ist möglich als Jude/Jüdin antizionistisch zu sein! Also stimmt die Gleichung Judentum = Zionismus nicht. Es gibt antizionistische Juden! Sind diese nun antisemitisch? Würden sie damit ihre eigene Identität in Frage stellen? Aber als stolze gläubige Juden/Jüdinnen tun sie das gerade nicht! Ich lasse diese Fragen erst einmal so stehen und gehe weiter zum dritten Fall, der „das Fass zum Überlaufen gebracht“ und den Direktor der Stiftung Jüdisches Museum Berlin endgültig zum Rücktritt gezwungen hat: der Aufruf der jüdischen Wissenschaftler*innen an den Bundestag, BDS nicht für antisemitisch zu erklären und der Tweet aus dem Museum.
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