A World Citizen’s Journal

MODESTE MODE oder die Dialektik der weiblichen Verhüllung – 2

Fortsetzung

Islamische Kleidervorschriften – ganz kurz

Aber was ist denn nun im Islam erlaubt? Welche Kleidungsvorschriften müssen beachtet werden? Im Korantext können wir Aufforderungen zur Verhüllung bzw. Kleidung finden. Da heisst es in der Sure Nur (Sure 24 Vers 31): „Und sprich zu den gläubigen Frauen, dass sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren und ihren Schmuck nicht zur Schau tragen sollen – bis auf das, was davon sichtbar sein darf, und sie ihre Tücher um ihre Kleiderausschnitte schlagen und ihre Schmuck vor niemand (anderem) enthüllen sollen als vor ihren Gatten oder Vätern oder den Vätern ihrer Gatten oder ihren Söhnen oder den Söhnen ihrer Gatten oder ihren Brüdern oder den Söhnen ihrer Brüder oder Söhnen ihrer Schwestern oder ihren Frauen oder denen, die sie von Rechts wegen besitzen, oder solchen von ihren männlichen Dienern, die keinen Geschlechtstrieb mehr haben, und den Kindern, die der Blöße der Frauen keine Beachtung schenken. Und sie sollen ihre Füße nicht so (auf den Boden) stampfen, dass bekannt wird, was sie von ihrem Schmuck verbergen. …“

Aus dieser Passage ist eindeutig zu erkennen, dass es bei der Kleidung der Frau darum geht „Keuschheit zu wahren“ und mit ihrem „Schmuck“ (fremde) Männer nicht zu reizen. Der Ausdruck „zīna“ für Schmuck, Geschmeide wird oft nicht im übertragen Sinne, sondern wörtlich gelesen und als wirklicher, dekorativer Schmuck, wie Hals- oder Fußketten, Ohrringe, Armreife etc. aufgefasst und entsprechen interpretiert: es ginge gar nicht darum, dass Frauen sich verhüllen müssten, sondern darum, dass sie nicht ihren Reichtum zur Schau stellen sollten etc. Aber diese Interpretation ist aus dem Zusammenhang gerissen, denn im obigen Vers geht es nur um die Bewahrung der Keuschheit, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Frauen sich nur vor ihrem Gatten und ihren nächsten Verwandten, Kindern, die „der Blöße der Frau keine Beachtung schenken“ und vor „männlichen Dienern, die keinen Geschlechtstrieb mehr haben (wahrscheinlich Eunuchen oder sehr alte Männer, H.K.)“, ohne Verhüllung zeigen dürfen.

Der Zweck „modester“, bescheidener Kleidung kommt hier also sehr klar zum Ausdruck: Keuschheit, sexuelle Zurückhaltung aufs Äußerste. Nur gegenüber älteren Frauen, die keine Kinder mehr bekommen können und deren „Geschmeide“ fremde Männer nicht mehr reizen könne, ist der Koran etwas konzilianter. Für sie hat der Koran die Kleidungsvorschriften etwas gelockert, unter der Auflage sich dennoch „anständig“ zu verhalten (Sure Nur, Vers 60)

Im Vers 59 der Ahzab-Sure fordert der Koran den Propheten Mohammad auf, seine Frauen und Töchter sowie alle gläubigen Muslimen dazu anzuhalten, einen Überwurf über die Kleidung anzulegen, wenn sie aus dem Haus gehen.

Aus all diesen Versen können wir folgern: Alles, was als „zīna“, also Schmuck des Körpers und Quelle sexuellen Reizes für fremde Männer gelten kann, hat verhüllt zu werden, und zwar so, dass auch die Umrisse dieser Körperstellen nicht erkennbar sind. Da auch das Haupthaar von Männern als sexuell erregend wahrgenommen werden kann, ist also ein Kopftuch zu tragen.

Nicht nur im Koran, sondern auch in den Hadithen sind Passagen zu finden, die eindeutig auf die Verhüllungspflicht der Frau hinweisen. U.a. sagt der Prophet Muhammad in einer von diesen, dass nur das Gesicht und die Hände einer Frau sichtbar sein dürften.

Was ist mit den Männern?

Im Vers 26 in der Sure A’raf (Sure 7) wendet sich der Koran an die „Söhne Adams“ und fordert, dass sie ihre Scham bedecken und weist in dem darauffolgenden Vers gleich auf das Schicksal von Adam und Eva hin, die ihre Blöße nicht bedeckt hätten und dazu gezwungen werden mussten.

Es gilt für den Mann, Hosen bis unter das Knie und Hemden bis über die Ellbogen zu tragen; aber ein auf diese Weise gekleideter Mann fällt im Stadtbild überhaupt nicht als „islamisch verhüllt“ auf. Er trägt ja kein Kopftuch. Es sei denn, er trägt deutlich sichtbar einen islamischen Bart oder eine Takke –eine Gebetsmütze, wie die Kippa bei den jüdischen Männern- der ihn als Muslim kennzeichnet. Da viele Männer aber auch beim Gebet keine Kopfbedeckung tragen, ist dies wohl keine Pflicht für den muslimischen Mann. Auch im öffentlichen Alltag sind nicht sehr viele Muslime mit Gebetsmütze zu sehen.

Die Verhüllung der Frau andererseits hat für viele muslimische Männer folgenden Sinn: Gott hat sie deswegen vorgeschrieben, damit die Frau 1. den Mann nicht sexuell herausfordert und reizt; hier soll der Mann vor den Reizen der Frau geschützt werden (bei Vergewaltigung wäre damit konsequent die Frau schuld, da ihr vorgeworfen werden kann, sie wäre nicht oder ungenügend verhüllt gewesen; logisch weitergedacht hätte die Frau den Mann mit ihren Reizen „angegriffen“, also verführt ) und 2. damit sie der Frau Schutz und Sicherheit gibt (bei sexueller Belästigung oder Vergewaltigung wäre auch hier die fehlende Verhüllung (Schutz) bzw. die Frau, die sich nicht verhüllt hatte, schuld). Modeste Kleidung gibt der Frau und dem Mann also Schutz und Sicherheit – so die religiöse Logik. In beiden Fällen wird die Verhüllung jedoch über die Reaktion des Mannes definiert. Sie soll ihn nicht reizen, damit er nicht übergriffig wird. Also wäre ich ein Mann, … würde mich diese Erwartung an mein Geschlecht schon stark beleidigen und empören. Es würde mir unterstellt, dass ich meinen sexuellen Trieb aber auch unter keinen Umständen kontrollieren könnte und ihm vollständig ausgeliefert wäre, das ich nicht in der Lage wäre, den Trieb zu kultivieren und zivilisieren, dass ich in dieser Hinsicht aber auch absolut nicht erziehbar, somit lernunfähig wäre! Wie dem auch sei,…
… viele Frauen und ihre Familien mögen tatsächlich denken, dass sie selbst bzw. ihre Frauen, Töchter, Schwestern etc. verschleiert besser vor sexuellen Übergriffen, vor Sexismus überhaupt, geschützt sind. Diese Hoffnung bzw. Annahme wird allerdings durch Fakten nicht gestützt.

In „Contemporary Muslim Fashion“ ist übrigens kein einziges „modestes“ Exponat für Männer zu sehen. Was ein deutlicher Hinweis auf die Zielgruppe der Ausstellung sein dürfte. Aber nichtsdestotrotz ist auch muslimische Mode für Männer demnächst im Kommen. Die globale Kommerzialisierung der Religion ist in vollem Gange und es bleibt abzuwarten, wie der muslimische Milliardenmarkt, ob Haute Couture oder Casual Fashion, auf ihre Warenästhetik anspricht.

Proteste um „modeste“ Kleidung

Das islamische Kopftuch war immer wieder Zündstoff für politische Proteste. Dabei waren/sind bzw. sind der Angriffspunkt immer wieder staatliche Kleidungsvorschriften für die Frau, gegen die die Frauen sich gezwungen sahen/sehen, politisch und demonstrativ zu Felde zu ziehen: einerseits geht es um Zwangsentschleierung (Beispiel Türkei in den 1980 er/1990er Jahren), andererseits um Zwangsverschleierung (Beispiel Iran oder Saudi-Arabien). Je nachdem hatten bzw. haben sie mehr oder weniger Männer an ihrer Seite. Wenn es gegen eine staatliche Zwangsentschleierung ging/geht, wurden/werden die Frauen, die ihre religiöse Pflicht der Kopfbedeckung erfüllen wollen, stärker von Männern unterstützt, mehr noch: in diesem Fall führten Männer auch mal die Demonstrationen an und sprachen lautstark für die Freiheit der religiösen Frau, ihr Kopftuch zu tragen. Beispiele für Proteste gegen Zwangsverschleierung gibt es in letzter Zeit zur Genüge aus dem Iran. (Gefängnisstrafe bei öffentlichem Ausziehen des Kopftuchs, Ablegen des Kopftuch bei sportlichen Wettkämpfen etc.) Aus diesem Grund waren viele, dem Mullah-Regime entflohene und im Westen lebende iranische Frauen verständlicherweise von der Ausstellung Contemporary Muslim Fashion vor den Kopf gestoßen.

Dann sind da noch die Hijabistas. Als Digital Natives versuchen sie über die Online-Plattformen die Aufmerksamkeit des User-Publikums auf ihre Identität als junge muslimische Frauen in einer westlichen Gesellschaft zu ziehen. „Seht her! Ich bin eine Muslima! Der Hijab gehört zu meiner Identität!“ So kann der Spieß auch mal umgedreht werden. Frau kann modest und selbstbewusst zugleich sein.

Und ewig lockt die Herrschaft über die Frau – überall!

Einen politisch brisanteren Stoff als den Stoff, aus dem die weibliche Bekleidung gemacht wird, gibt es nicht. Der weibliche Körper ist politisch bzw. wird politisiert. Verhüllt, freizügig oder  nackt? Zurückhaltend oder provakant und verführerisch? Das ist die Frage, um die sich religiöse Kleidungsvorgaben drehen. In der politischen Diskussion jedoch  sollte die zentrale Frage eine andere sein, nämlich die: Hat die Frau sich aus freiem Willen für /gegen das Kopftuch entschlossen? Wird der Frau die Macht über ihren eigenen Körper abgesprochen – oder nicht?  

Man drehe und wende das Kopftuch, wie man will, es bleibt in diesen Zeiten ein Politikum. Denn auch hier ist es nicht die Frau allein, die individuell und aus freiem Willen darüber bestimmt, ob sie es tragen will oder nicht. Es fängt damit an, dass Gott die Verhüllung will –dies könnte vom Koran, der für die Gläubigen eben Gottes Wort ist, abgeleitet werden. Auch einige Hadithe lassen sich in dieser Richtung auslegen, wenn z.B. der Prophet Muhammad selbst in einem von diesen sagt, es sollten nur Gesicht und Hände der Frau sichtbar sein. Soweit die Frau sich individuell aus freiem Willen entschließt, sich Gott und seinem Propheten– also dem Koran und den Hadithen –  zu unterwerfen (so paradox es auch ist!) und sich zu verhüllen, fällt ihre Entscheidung unter Religionsfreiheit. Sobald sich jedoch andere einmischen und versuchen, ihre Meinung zu beeinflussen oder sogar zu zwingen, seien es der Staat, der Mann, die Familie oder das soziale Umfeld der Frau, dann gründet das Tragen oder das Ablegen des Kopftuchs direkt auf Zwang und auf direkter offener oder indirekter sublimer Gewalt. Das hat mit Religionsfreiheit überhaupt nichts mehr zu tun.

Nichts außer dem freien Willen der Frau, die den Hijab trägt, sollte also für die gesellschaftliche Akzeptanz der religiösen Verhüllung den Ausschlag geben. Das sollte die Grundlage dafür sein – auch für westliche Feminist*innen- mit der Gläubigen im Allgemeinen, mit der Muslima im Besonderen- auf Augenhöhe zu kommen. Im Feminismus sollte – wie der Name es schon sagt – die Frau  im Mittelpunkt stehen. Der/die westliche Feminist*in sollte verstehen, auch wenn er/sie womöglich vieles nicht akzeptieren kann, und vor allem den Dialog mit der Muslima suchen, ohne zu verurteilen.

Es wäre z.B. auch denkbar, dass eine in einer westlichen Gesellschaft sozialisierte Frau, müde der extremen Sexualisierung in Film und Werbung, müde der Benachteiligungen im Arbeits- und Erwerbsleben, dass sie z.B. bei gleicher Arbeit ein Fünftel weniger Lohn erhält als ihr Kollege, müde der sexistischen Andeutungen, Annäherungen und Angriffe (siehe MeToo-Debatte) etc. etc. sich vorsätzlich trotz Unglaubens auch mal des „modesten“ religiösen Kleidersortiments bedient, weil sie weiß, dass sie in ihrer Umgebung damit aneckt und provoziert.  Solch eine Handlung ließe sich sogar als ein Hilferuf werten. Das Kopftuch kann also im einem westlichen Kontext auch einen Protest, nämlich die Ablehnung der herrschenden sexistischen patriarchalen Strukturen – diesmal in der aufgeklärten  westlichen Welt-  symbolisieren, die lange nicht so weit in der Gleichberechtigung der Frau vorangeschritten ist, wie sie oft vorgibt. Dasselbe gilt für das Ablegen des Kopftuchs bzw. der „modesten“ Bekleidung in einem theokratischen Land. Als ein völlig entgegengesetzte Extrem wären die Aktionen der feministischen Gruppe Femen zu nennen, die den nackten Protest (wörtlich zu verstehen) auf die Fahnen geschrieben hat. Nackt oder verhüllt – in beiden o. g. Fällen ist der weibliche Körper das Symbol der Ablehnung der herrschenden Verhältnisse.

 

…Fortsetzung folgt

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